Auszug aus der Wiener Zeitung - https://www.wienerzeitung.at/meinungen/glossen/651497_Rosetta-ist-dem-Tschuri-schon-ganz-nahe.html

Rosetta ist dem Tschuri schon ganz nahe

Es könnte einer der größten Erfolge der europäischen Raumfahrt werden. Nach einer über zehnjährigen Reise hat die Raumsonde Rosetta in der letzten Woche den Kometen Tschurjumow-Gerasimenko erreicht. Die Sonde der Europäischen Raumfahrtagentur ESA wird den Kometen umkreisen und kartografieren. Sobald ein Landeplatz gefunden ist, soll eine Landeeinheit auf dem Planeten aufsetzen und ihn erkunden. Die Wissenschafter erhoffen sich von der Mission neue Erkenntnisse über die Zusammensetzung von Kometen und damit auch über die Entstehung des Sonnensystems.

Ein abrupter Themenwechsel. Wer die "unanständigen Lieder" von Georg Danzer kennt, der erinnert sich vielleicht an "Die Ballade vom versteckten Tschurifetzen". Gleich am Beginn des Liedes klärt Danzer sein Publikum darüber auf, was ein Tschurifetzen ist. "Also, ohne ihr Gefühl zu verletzen, / des is a Tiachl, bitte sehr, / was ma nimmt nach dem Geschlechtsverkehr. / Ma sollt’ es also nicht benutzen / zum Schuhe- oder Fensterputzen, / man hat’s halt liegen - griffbereit / unterm Bett, ist’s wieder an der Zeit."

Es erscheint mir nicht notwendig, den kompletten Text wiederzugeben, doch so viel sei verraten: Der Protagonist sucht verzweifelt nach dem Tüchlein. "Am Schluss schau ich zufällig nach / im Eiskasten, im Tiefkühlfach, / wo drin mei Tschurifetzen woa / staahart, vereist und unbrauchbar..."

"Tschuri" ist ein Wiener Dialektausdruck, er geht zurück auf ein Wort aus der Sprache der Roma und Sinti - es hat ursprünglich Suppe bedeutet. Das tabuisierte, aber durchaus nützliche Stück Stoff - heute oft ein Papiertaschentuch - trägt in den verschiedenen Regionen des deutschen Sprachraums verschiedene Bezeichnungen. Im Norden sagen die Jugendlichen dazu SaSaLa, eine Verkürzung von Samensammellappen.

Warum erzähle ich das? Am vergangenen Donnerstag habe ich auf den Wissenschaftsseiten der Tageszeitungen einige merkwürdige Sätze gefunden. "Rosetta hat Tschuri erreicht", schrieb die "Frankfurter Allgemeine". Das höre sich zwar putzig an, sei aber eine Weltraumpremiere der besonderen Art. Im "Standard" konnte man lesen: "Rosetta ist dem Tschuri schon ganz nahe." In den "Salzburger Nachrichten" stand, dass Tschuri "ein kostbares Archiv unseres Sonnensystems" sei. Und die Geschichte im Inneren des Blattes war so übertitelt: "Rendezvous mit dem alten Tschuri".

Einige Journalisten scheinen das Oeuvre von Georg Danzer nicht zu kennen, sonst hätten sie es wohl anders formuliert. Wobei ich zugeben muss: Der richtige Name des Kometen ist kaum auszusprechen, geschweige denn zu merken: 67P/Tschurjumow-Gerasimenko. Er ist benannt nach zwei Wissenschaftern, die ihn am Institut für Astrophysik von Alma-Ata in Kasachstan entdeckt haben: Klim Tschurjumow und Swetlana Gerasimenko. Im Englischen werden die Wissenschafter anders geschrieben: Klim Churyumov und Svetlana Gerasimenko. Und so findet man in den österreichischen Zeitungen Mischformen und Fehlschreibungen jeder Art: von Tschurjumov bis Gerasismenko. Die "Süddeutsche Zeitung" hat eine elegante Lösung gefunden. Sie kürzt den Kometen anders ab und nennt ihn schlicht und einfach "67P".